Die Armbrust

Nachdem die Millinger Schützen Mitte 1948 beschlossen hatten, die Schützentradition nach neunjähriger Zwangspause wieder aufleben zu lassen, stellten sie fest, dass diesem Vorhaben etliche Hindernisse im Wege standen. So verbot zum Beispiel das britische Besatzungsrecht den Besitz und die Nutzung von Feuerwaffen.

 

Nach alter Tradition wird der Schützenkönig durch ein Holzvogelschießen ermittelt. Aber wie sollte das ohne Gewehr bewerkstelligt werden? Im Waffenverbotsgesetz war von Feuerwaffen die Rede, nicht aber zum Beispiel von der Armbrust. Das könnte die Lösung werden, ja - wenn man so ein Ding hätte. Schnell waren sich die Schützenbrüder einig und beschlossen, selbst eine Armbrust zu bauen.

 

Die Holzarbeiten für Schaft und Kolben sollte unser Vogelbauer Schützenbruder Hugo Essink übernehmen. Die Eisenspitzen für die Holzbolzen würden von Schützen, die bei der Isselburger Hütte beschäftigt waren, gedreht werden. jetzt fehlte noch das richtige Eisen für den Bogen.

 

Es musste elastisch, aber auch voller Spannkraft sein. In jener Zeit begleitete Schützenbruder Artur Goertz einen Materialtransport zu einem Gutshof.

Nach Erledigung der bürokratischen Dinge blieb ihm bis zur Entladung des LKW 's noch Zeit, sich auf dem Hof etwas umzuschauen. Dabei kam er zu einem Schrottplatz des Gutes. Beim Gerümpel befand sich auch das Fahrgestell eines alten Landauers. Die Räder solcher Komfortkutschen wurden durch mehrere aufeinanderliegende Stahlblätter abgefedert. Die Federstahlblätter könnten das geeignete Material für einen Armbrustbogen abgeben.

 

Ein Gespräch mit dem Gutsverwalter, in dem die Nöte der Schützen geschildert wurden, brachte die Erlaubnis zur Demontage der Blattfedern; was nicht einfach war beim Alter der Kutsche und mit unzulänglichem Werkzeug. jedenfalls klappte es, die Stahlfedern waren geeignet und so konnten in kürzester Zeit zwei Armbrüste gebaut werden.

 

Obgleich das Schützenfest 1948 in Ermangelung eines Zeltes in den Sälen Hartmann und Böcker gefeiert wurde, fand das Vogelschießen auf der Schützenwiese statt. Und das hatte es in sich. Auf einer Gerüststange thronte der Vogel. Dahinter stand der "Bolzenfang" aus Sackleinen. Trotz dieser Auffangvorrichtung flog mancher Bolzen vorbei und Kinder mussten ihn im langen Gras der Wiese suchen und einsammeln.

 

Mit der Präzision der Armbrust Marke Eigenbau - vielleicht auch mit der der Schützen - war es nicht weit her, so dass statt des anvisierten Kopfes oder Flügels viele Bolzen vom Kaliber 25 mm den Rumpf trafen. Die Wirkung blieb nicht aus. Nachdem Kopf und rechter Flügelprogramm gemäß gefallen waren, ging es um den linken Flügel.

 

Da passierte es. Schütze August Stevens hatte zwar den Flügel anvisiert, herunter fielen aber Flügel und Rumpf. Nach überstandener Schrecksekunde boten die "Oberen" dem verdutzten Schützenbruder an, den Rumpf wieder auf die Stange zu setzen und ihm den dritten Preis für den Flügel zuzugestehen. August Stevens überlegte nicht lange und meinte: "Denn Möss es ronder on ek sin noj König!" Damit war August Stevens - für ihn selbst völlig überraschend - König 1948 und der erste nach dem Wiederbeginn.

 

Der Flügelpreis wurde am Abend beim Festball anhand der Schießnummern ausgelost. Sicher auch ein Koriosum. Schützenbruder Heinz-Josef Giesen, unser derzeitiger Ortsvorsteher, war der Gewinner. Trotz dieser Erfahrungen der Millinger Schützen wurden die Armbrüste gegen eine kleine Leihgebühr an die Nachbarvereine Esserden, Vehlingen, Isselburg, Vrasselt und Hüthum für deren Vogelschießen ausgeliehen. Ab dem folgenden Jahr konnte wieder mit Kleinkalibergewehren geschossen werden, so dass die Armbrüste schon schnell ausgedient hatten. Heute werden sie bei den Festzügen zur Schau gestellt.